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Inkrafttreten des Sozialistengesetzes 1878

Von den drei Jahren Herbst 1878 bis Herbst 1881 darf ich sagen, es waren die unangenehmsten, weil sorgenvollsten meines Lebens. Und Arbeit gab es auch im Übermaß. Vor allem galt es zunächst, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, die im ersten Sturm des Sozialistengesetzes in Deroute geratenen Massen wieder zu sammeln und ihnen das Rückgrat zu steifen. August Bebel (1814 – 1913)

Es waren schwere Zeiten für die Sozialdemokraten. Sie durften sich nicht mehr versammeln und nicht schriftlich äußern. Das Gesetz, das die Grundlage dazu bot nannte man "Sozialistengesetz" und hieß ursprünglich “Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie". In Kraft trat dieses am 22. Oktober 1878 und es wurde bis zu seiner Abschaffung 1890 insgesamt viermal verlängert. Es kam einem Parteiverbot gleich. 

In einer schwierigen innenpolitischen Phase war im Mai 1878 durch einen Arbeiter ein Attentat auf den Kaiser verübt worden. Reichskanzler Bismarck machte noch am selben Tag in einem Telegramm deutlich, dass er das Attentat zum Anlass für eine Gesetzesvorlage nehmen wolle. Eine eindeutige Verbindung des Attentäters zur Sozialdemokratie oder gar eine politische Motivation für das Attentat ließ sich nicht nachweisen.

Die Arbeiterbewegung in Sachsen zog sich in die nach wie vor bestehenden Arbeiterbildungsvereine zurück. Neu entstanden Wander- und Naturfreundebewegungen sowie die Arbeitersängerbünde und vor allem Arbeiterturnvereine, häufig als Tarnorganisationen an Stelle der verbotenen Partei- oder Gewerkschaftsgruppen gebildet. Gleichzeitig gelang es der Sozialdemokratie, ihren Organisationsgrad auszubauen, was sich nach Aufhebung des Sozialistengesetzes zeigte: Zogen 1890 und 1893 jeweils sieben Sozialdemokraten aus Sachsen (von 23 Wahlkreisen) in den Reichstag ein, waren es 1898 bereits 11 von 23 Wahlkreisen, die durch Sozialdemokraten im Reichstag vertreten wurden.


Weiterführende Literatur

 

Richard Lipinski: Dokumente zum Sozialistengesetz. Materialien nach amtlichen Akten bearbeitet. Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Berlin 1928; fes.de (PDF; 1,6 MB). 

100 Jahre Gesetz gegen die Sozialdemokratie (= Vorwärts. Sonderausg. September 1978). Vorwärts, Bonn 1978. 

Helga Berndt: Biographische Skizzen von Leipziger Arbeiterfunktionären. Eine Dokumentation zum 100. Jahrestag des Sozialistengesetzes (1878–1890). Akademie-Verlag, Berlin 1978, (Lizenzausgabe. Topos-Verlag, Vaduz 1979, ISBN 3-289-00205-5). 

Horst BartelWolfgang SchröderGustav Seeber: Das Sozialistengesetz. 1878–1890. 

Illustrierte Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse gegen das Ausnahmegesetz. Dietz, Berlin 1980.

Wolfgang Beutin: „Nicht zählen wir den Feind, nicht die Gefahren all“ – Die unter dem Sozialistengesetz verbotene und verfolgte Literatur. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Heft 2, 2004, ISSN 1610-093X, S. 51–61.


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